Die Netzwerke der Verantwortung in Österreich

Das Forschungsprojekt „Netzwerke der Verantwortung in Österreich“ der Julius Raab Stiftung dokumentiert in einer Netzwerkanalyse (Harald Katzmair – FAS.research) den Status der Verantwortungskultur in Österreich. Die gute Nachricht ist: Die Landkarte der sozialen Verantwortung zeigt, wie dicht das Verantwortungsnetzwerk im Land geknüpft ist. Gleichzeitig steht Österreich vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen.

 

 

Die Untersuchung macht Perspektiven deutlich, wie wir auf Basis dieser reichen Verantwortungskultur, unseren Wohlstand erhalten und die Ökosoziale Marktwirtschaft erfolgreich weiterentwickeln können. Die Julius Raab Stiftung hat daraus eine Verantwortungs-Agenda mit konkreten Forderungen an die Politik abgeleitet: Österreich braucht eine moderne bürgerliche Sozialpolitik, die Förderung von Initiativen aus dem Social-Entrepreneurship-Bereich sowie ein gemeinnützigkeitsfreundliches Stiftungsrecht.

DIE HERAUSFORDERUNGEN

Technischer Wandel und wirtschaftliche Dynamik führen in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts zu Umbrüchen in der Arbeitswelt und zu Finanzierungskrisen von Sozial- und Wohlfahrtsstaaten. Konkrete Herausforderungen sind:

 

Durch die strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt werden die Arbeitsplätze für gering Qualifizierte quantitativ und relativ zurückgehen. Zugleich wird teilweise durch einfache und gering qualifizierte Erwerbstätigkeit keine ausreichende Absicherung grundlegender materieller Bedürfnisse mehr ermöglicht („working poor“).

 

 

Die jüngere Generation wird aufgrund der Staatsverschuldung immer mehr belastet. Dadurch entsteht weniger Spielraum für wünschenswerte Zukunftsinvestitionen (z. B. Bildung, Forschung & Entwicklung).

 

 

Der Staat wird immer öfter als Vollkaskoversicherung wahrgenommen. Die durch die Politik genährte, wachsende Anspruchshaltung an staatliche Leistungen und die weit verbreitete Versorgungsmentalität breitet sich in vielen Teilen der Bevölkerung immer mehr aus.

 

 

Die Bevölkerung wird immer älter, dadurch werden die ausgeglichene Entwicklung für Pensions-, Gesundheits- und Pflegesystem auf den Prüfstand gestellt. Die Alterung hat sich noch nicht angemessen auf den Anstieg des Pensionsantrittsalters ausgewirkt.

 

 

Der weltweit steigende Primärenergiebedarf und der seit Jahrzehnten gewachsene Ausstoß von Kohlendioxid verlangen nach einer nachhaltigen – auf Versorgungssicherheit, Kostengünstigkeit sowie Umwelt- und Sozialverträglichkeit Bedacht nehmende – Energiepolitik.

 

 

 

Ein besonders im Kontext von Migration hoher Anteil bildungsferner Kinder und insgesamt mangelnde schulische Leistungen bergen die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft in Österreich. In der Zukunft müssen die ideologischen Grabenkämpfe überbrückt und durch eine sachliche Diskussion ersetzt werden.

 

FORSCHUNGSDESIGN

Für das Forschungsprojekt wurden für Österreich die vier Verantwortungsträger Individuum, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat differenziert. Diesen Trägern sind unterschiedliche Rollen im Verantwortungsnetzwerk zugeordnet (etablierte Träger, Newcomer & Innovatoren, Financiers, Politische Unterstützer und Vordenker).

Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden zur Identifikation der Aktivitäten der Träger jeweils folgende Bereiche zusammengefasst: Bildung/Schule, Arbeit/Beschäftigung/Vereinbarkeit, Armut/Migration/Inklusion, Gesundheit/Pflege, Ökologie/Umwelt/Erneuerbare Energien sowie Wissenschaft/Forschung/Kunst und Kultur.

Als Verantwortungsinstanzen gelten jene Autoritäten, die für das Wahrnehmen von Verantwortung ausschlaggebend sind. Für die unterschiedlichen Träger von Verantwortung können sich unterschiedliche Kombinationen von Autoritäten aus den Dimensionen der Normen, des Rechts, der Moral, Ethik, Religion und Spiritualität sowie des jeweiligen Eigeninteresses ergeben.

Ergebnisse

Das Forschungsprojekt zeigt, dass abseits staatlicher Strukturen, die zunehmend in Österreich unter Druck geraten, viele Menschen und Organisationen Verantwortung übernehmen. Die Befunde der Forschung auf einen Blick:

  • Wir stehen in Österreich auf einem soliden Fundament der Verantwortung. Die These, dass sich keiner mehr um den anderen kümmert und jeder nur mehr an sich selbst denkt, entspricht nicht der Verantwortungswirklichkeit.
  • Die durchwegs hohe Dichte des Netzwerks der Verantwortung lässt auf eine seit langer Zeit ausgeprägte Kultur der Zusammenarbeit und des Austauschs schließen.
  • In Österreichs Verantwortungslandschaft gibt es kaum Inselbildungen oder Abschottungen. Die vielfältige wechselseitige Vernetzung lässt auf hohe Lern- und Diffusionsgeschwindigkeit im Falle von „Neuigkeiten“ und Innovationen schließen.
  • Es existieren durchgängige Verbindungen zwischen unterschiedlichen Verantwortungsbereichen (Migration, Gesundheit, Umwelt etc.) was auf innovationsfördernde bereichsübergreifende Impulse („Cross Fertilisation“) mit Blick auf neue Ideen oder Ansätze zur Bewältigung von Herausforderungen schließen lässt.
  • Ausgeprägte Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen privaten Unternehmen, NGOs, Vereinen und sozialpartnernahen Organisationen weisen auf einen guten institutionellen Mix in Hinsicht auf die Resilienz im Netzwerk hin. Damit tragen die Buntheit der Verantwortungslandschaft und die Unterschiedlichkeit der Kooperationsansätze zu einer Risikodiversifizierung im Falle von Krisen bei.
  • Österreich verfügt über einen außerordentlich guten Rollenmix unter den Trägern der Verantwortung. Etablierte Vereine und Initiativen agieren als bewährte „Felsen in der Brandung“ im Bereich der Zivilgesellschaft, KMUs als Innovationsmotoren in der Wirtschaft.
  • Mit rund 70 % aller befragten Unternehmen ist der unternehmerische Sektor in einem überdurchschnittlichen hohen Maße in der Rolle des Financiers der Verantwortungslandschaft aktiv.

 

 

DIE CHANCEN

Mit der Landkarte der sozialen Verantwortung und des zivilgesellschaftlichen Engagements will die Julius Raab Stiftung einen Beitrag zu mehr sozialer Initiative und gesellschaftlicher Eigenverantwortung in Österreich leisten. Österreich braucht eine Verantwortungs-Agenda zur Stärkung und Weiterentwicklung unserer Verantwortungskultur.

Status

Wir leben in einer Welt der Beschleunigung nahezu aller Lebensbereiche. Die Menschen sehnen sich nach Sicherheit in unsicheren Zeiten. Freiheit wird auf Kosten der Sicherheit auf eine harte Probe gestellt. Globale und technologische Entwicklungen bewirken Veränderungsdruck am Arbeitsplatz und im Privatleben. Die Geschwindigkeit, mit der wir kommunizieren, sowie das Tempo, in dem wir arbeiten und produzieren, lässt wenig Raum für Sorge und Verantwortung für Andere. Die Folge sind Entsolidarisierung, eine um sich greifende „Opfermentalität“ und ein weiteres Wegdelegieren von Verantwortung an den Staat. Herausforderungen der Zukunft, wie etwa die Alterung der Bevölkerung, sind nur mit einer starken Kultur der Verantwortung und Solidarität zu bewältigen.

Perspektive

Österreich steht heute in Europa noch gut da – und gleichzeitig am Scheideweg. Wichtige Entscheidungen in den unterschiedlichen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politikbereichen bestimmen darüber, ob wir unser Wohlstandsniveau beibehalten können. Der Rahmen für eine positive Entwicklung ist die Ökosoziale Marktwirtschaft. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Friede und nachhaltiger Schutz der Lebensgrundlagen müssen in Balance gebracht werden. Der Schlüssel zur Synthese zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie liegt in einem Verständnis von uns als selbsttätige, freie und daher verantwortungsbewusste Menschen.

Agenda für Verantwortung

Ein neues Verständnis von Verantwortung in einer Ökosozialen Marktwirtschaft soll sich auch in einer Verantwortungs-Agenda für Österreich niederschlagen. Diese politische Agenda muss die Kollaboration der unterschiedlichen Träger von Verantwortung fördern statt behindern, Anschlussstellen für soziale Innovationen und Innovatoren schaffen und neue Ressourcen für die Verantwortungslandschaft verfügbar machen. Konkrete Anliegen sind daher:

  • Österreich braucht eine moderne bürgerliche Sozialpolitik. Staatliche, privatwirtschaftliche, zivilgesellschaftliche und individuelle Lösungsansätze sollen neben- und miteinander zur Bewältigung sozialer Herausforderungen der Zukunft herangezogen werden.
  • Um Oligopol-Bildungen vorzubeugen, die Buntheit der Verantwortungslandschaft zu beleben und soziale Innovationen zu fördern, sollen neue Initiativen aus dem Social-Entrepreneurship-Bereich im Rahmen von Pilot- bzw. Start-up-Projekten gefördert bzw. unterstützt werden.
  • Ein neues gemeinnützigkeitsfreundliches Stiftungsrecht und damit das Rechtsinstrument einer „Gemeinnützigen Stiftung NEU“ soll zur Förderung philanthropischen Engagements in Österreich eingeführt werden. Über neue gemeinnützige Stiftungen und damit einhergehende steuerliche Anreizwirkungen im Spendenbereich können erhebliche finanzielle Potenziale freigesetzt und gemeinnützigen Zwecken in der Verantwortungslandschaft zugeführt werden.

 

Stimmen zum Projekt

 

Dr. Herta Stockbauer, Vorstand BKS Bank AG

Österreich besitzt eine hohe außerstaatliche Verantwortungskultur. Viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich regelmäßig ehrenamtlich. Auch bei Katastrophenfällen ist die Hilfs- und Spendenbereitschaft sehr groß. Erfreulicherweise stellen sich auch immer mehr Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und unterstützen soziale Projekte. Sie stellen sich somit den Herausforderungen unserer Zeit (demographischer Wandel, steigender wirtschaftlicher Wettbewerb mit anderen Regionen, Klimawandel gepaart mit Naturkatastrophen). Parallel dazu sinken die Mittel, die die Republik Österreich ausgeben kann. Ich gehe davon aus, dass in vielen Bereichen Bürger, Familienmitglieder, karitative Organisationen oder auch Unternehmen mehr Verantwortung übernehmen werden müssen.

Österreichs Verantwortungskultur lässt sich weiter stärken, indem wir ihr noch mehr öffentliche Anerkennung zollen und Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang holen. Unternehmen sind außerdem gefordert, ihre Mitarbeiter beim Freiwilligenengagement zu unterstützen. Das Forschungsprojekt der Julius Raab Stiftung hilft, rechtzeitig aufzuzeigen, wo die Verantwortungskultur bereits gut aufgestellt ist und bei welchen Themen noch optimiert werden kann.

 

MMag. Peter J. Oswald, CEO Mondi Europe & International

Verantwortung muss gelebt werden – und zwar unabhängig von Ort und Rang. Viele Österreicherinnen und Österreicher haben meiner Meinung nach eine sehr gesunde Einstellung zu den Themen Verantwortung und gesellschaftliches Engagement. Neben dem persönlichen Engagement ist die Vernetzung zwischen Unternehmen, unabhängigen Organisationen (NGOs) und Vereinen wichtig. Damit ist gewährleistet, dass Verantwortung auf mehreren „Schultern“, also Trägern, verteilt wird.

Das Forschungsprojekt der Julius Raab-Stiftung, meines Wissens nach die bislang erste wissenschaftliche Untersuchung unserer Verantwortungskultur, ist richtig und wichtig. Sie ist eine objektive, empirisch belegte Betrachtung, wie wir in Österreich mit Engagement und Verantwortung in unterschiedlichen Bereichen von Gesellschaft und Umwelt umgehen. Mit ihrer „Landkarte der Verantwortung“ zeigt sie erstmals auf, wie und von wem Verantwortung in den Bereichen Gesellschaft, Soziales und Umwelt gestaltet wird.

Zu einer auch langfristig wirksamen Verantwortungskultur zählt die Bereitschaft jedes Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen. Das beginnt beispielsweise bei der eigenen Gesundheit. Eigenverantwortung soll nicht nur in der Familie gelebt, sondern auch Kindern und Jugendlichen in der Schule verstärkt beigebracht werden. Als Unternehmer setze ich mich zudem dafür ein, dass wir als international erfolgreiche Organisation natürlich auch Vorbildwirkung für das Übernehmen von Verantwortung haben. Zusammen bilden wir eine starke und verantwortungsvolle Zivilgesellschaft.

 

Dr. Karl Stoss, Vorstandsvorsitzender Österreichische Lotterien

Die Österreicherinnen und Österreicher sind spendenfreudig, das zeigen die tollen Erlöse bei Hilfsaktionen wie Nachbar in Not oder Licht ins Dunkel jedes Jahr aufs Neue. Die Menschen packen auch an und helfen, wenn Katastrophen wie das Hochwasser im Juni 2013 hereinbrechen. Verantwortungskultur wird hierzulande also gelebt – in der Gesellschaft und auch in weiten Teilen der Wirtschaft: Unternehmen – darunter auch immer wieder Casinos Austria und die Österreichischen Lotterien – helfen dort, wo Projekte ohne private Unterstützung nicht verwirklicht werden könnten. Mögen die Möglichkeiten des einzelnen auch unterschiedlich groß sein, aus der Verantwortung stehlen kann und darf sich niemand. Nur wenn diese Verantwortung gelebt wird, kann sich eine Gesellschaft frei entfalten. Freiheit braucht Verantwortung, Verantwortung braucht Freiheit.

 

Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer Vinzenz Gruppe

Generell herrscht die Meinung, dass Menschen immer weniger bereit seien, Verantwortung für andere zu übernehmen. Das ist zu einfach.

Tatsächlich übernehmen sehr viele Verantwortung. Das zeigt sich besonders deutlich bei der jüngsten Hochwasserkatastrophe in Österreich. Gäbe es die vielen ehrenamtlich tätigen Personen nicht, wäre unsere Gesellschaft bei weitem nicht so lebenswert wie sie es tatsächlich ist. Sie sind der Kitt unserer Gesellschaft.

Es gibt aber auch viele Organisationen, die seit Jahrhunderten ohne Gewinnstreben Verantwortung für eine menschliche Gesellschaft übernehmen. Dazu zählen etwa die Ordenseinrichtungen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen. Sie nehmen oft eigene finanzielle Mittel in die Hand, um zu helfen. Auch diese Einrichtungen gehören vor den Vorhang. Sie ergänzen und unterstützen die staatlichen Einrichtungen. Angesichts der enormen Herausforderungen braucht unsere Gesellschaft jede helfende Hand, die ohne materielles Interesse tatkräftig anpackt.

Daher ist die Forschungsarbeit zur sozialen Verantwortung und des zivilgesellschaftlichen Engagements in Österreich so wichtig. Wir brauchen eine Bestandsaufnahme, um darauf Projekte zur Förderung des Engagements aufzubauen. Denn die Entwicklung einer Zivilisation zeigt sich nicht nur in der Technologie, die sie beherrscht. Sie zeigt sich besonders in der Verantwortung, die eine Zivilgesellschaft bereit ist zu übernehmen.

Wir verfolgen ein klares Ziel:
Wir wollen Österreich und Europa nach vorne bringen

Mit neuen Ideen, einer ehrlichen und
mutigen Politik und auf Basis zeitloser Werte.


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